Nach der erfolgreich abgelegten Meisterprüfung im Schlosserhandwerk meldeten mein damaliger Verlobter Sebastian Ernst und ich 1956 in Dingolfing eine Bauschlosserei, Spenglerei an.
Die seinerzeit vorhandenen finanziellen Mittel reichten gerade zur Anschaffung für die wichtigsten Werkzeuge und Gerätschaften. Die Werkstatt mit Schmiede (das Schmieden war eine große Leidenschaft vom Wast, wofür er immer weniger Zeit haben sollte) wurde in einem kleinen Schuppen hinter dem elterlichen Wohnhaus eingerichtet. Dies wurde von argwöhnischen Zeitgenossen beobachtet, die in unserem Tun keine Zukunft gesehen haben. Es folgte die Aussage: „wos woin denn de zwoa, in vier Wochan machans wieda zua!„
Sie sollten aber nicht Recht behalten, auch wenn der Weg mühsam war. Schon das erste Zeitungsinserat war erfolgreich und brachte einen lukrativen Auftrag, dem viele weitere folgen sollten. Jeder Auftrag wurde in optimaler handwerklicher Manier ausgeführt und die daraus folgende Zufriedenheit war die beste Werbung für ein ständiges Anwachsen des Kundenkreises. Freilich, einen Achtstundentag kannten wir damals nicht! Mit großem Fleiß und Zuverlässigkeit wurden Gartentüren, Tore, Zäune, Geländer, Kaminverkleidungen, kurz: alles angefertigt, was in den stetig besser werdenden Zeiten nach dem Krieg gebraucht wurde.
Eine gute Zeit für die Handwerker, denn Fertigprodukte aus dem Baumarkt gab es seinerzeit nicht; jeder Auftrag war eine Spezialanfertigung in bester handwerklicher Machart. Die Lieferung von fertigen Waren erfolgte anfänglich mit dem Motorrad. Man stelle sich z.B. den Transport von 4 Meter langen Dachrinnen auf den Schultern von Wast und mir vor!
Aus dem kleinen Schuppen wurde ein massiver Bau, der nun auch eine Büroecke aufnehmen musste, weil die Büroarbeiten im gleichen Maße zunahmen wie die Aufträge. Die Schreibarbeiten habe ich dem Wastl abgenommen, er hatte dafür weder die Zeit noch die Muse. Die Vielfältigkeit und die Zahl der auszuführenden Aufträge erforderten Zug um Zug die Anschaffung weiterer Maschinen und Vorrichtungen. 1957 haben wir dann geheiratet und so ist aus uns beiden ein Handwerkerehepaar geworden, das fest zusammengehalten und den Betrieb mit viel Elan geführt hat.
Der Platzbedarf für Werkstatt und Lager nahm ständig zu. Deshalb wurde das Wohnhaus der Eltern 1958 teilweise ausgebaut. Nun war sogar Platz für ein Ladengeschäft für Haus und Küchengeräte, Öfen, Herde und Sanitäreinrichtungen. Auch die Verlegung des Behelfsbüros in das Haus war nun möglich.
Der Verkauf von Ölöfen und Badeinrichtungen nahm ungeahnte Ausmaße an und bescherte uns ansehnliche Umsätze. Dagegen war zu dieser Zeit die Nachfrage nach Haushaltswaren sehr gering. Deshalb richtete sich unser Augenmerk verstärkt auf den Verkauf von Öfen und Sanitärausstattungen.“ So ganz nebenbei „ kamen insgesamt vier Töchter zur Welt. Ursula im Jahr 1959, Brigitte 1962, im Jahr 1964 Erika und die Jüngste, Elisabeth im Jahr 1967.
Einer der ersten Lehrlinge wurde 1963 eingestellt. Raffael Hug hieß er, 6 Jahre später kam der Geselle Dionys Ertl dazu. Beide waren bis zu Ihrem Renteneintritt in führenden Positionen bei uns tätig. Andere folgten ihnen und so wuchs langsam ein Team, dass sich durch seine beispielhafte Betriebstreue auszeichnete. Die Spenglerarbeiten erfordern neben dem entsprechenden Werkzeug fast immer eine Leiter. Die Montage von Dachrinnen viel mir besonders schwer, da die gebräuchlichen Holzleitern nicht gerade sicher waren, und ich fürchtete mich jedes mal auf diesen wackligen Leitern und sagte deshalb eines Tages zum Wast: „Wast de Loadda waggld a so, do mog i nimma aufesteing!“ Darauf der Wast: „do gwöhn di dro“ i wieda: „nia des sog i da“ darauf der Wast: „Mei, dann bau i da hoid a moi a Loadda“
So wurde die Idee geboren, selber eine Leiter zu bauen, aus Metall. Das war die Geburtsstunde der heutigen Produktion und der Anfang einer erfolgreichen Firmengeschichte! Es vergingen zwar noch einige Jahre, bis die Serienproduktion angelaufen ist, aber der Grundstein war gelegt und die Idee geboren.
Ausstellung der ersten Leiter am Straßenrand, nur mal so und schon war sie verkauft. Aus übrig gebliebenem Material gebaut, wer hätte das gedacht. Als wir die nächste Leiter herstellen wollten viel uns erst auf, dass wir einen Prototyp verkauft hatten und wir nicht mal eine Zeichnung hatten. Also mussten wir den Käufer bitten, sie uns noch mal vorbeizubringen um sie nachzubauen. So kam zur Schlosserei und Spenglerei nun auch die Produktion von Leitern, was einige Probleme und auch zusätzliche Aufgaben mit sich gebracht hat. Z. B. musste ein Tauchbecken zur Lackierung der Bauteile angelegt werden (in dem auch so manches Spielzeug der Kinder verschwand) und eine Aufhängevorrichtung zur Farbtrocknung.
Dennoch reizte uns die neue Aufgabenstellung und mein Wast und ich waren wieder einmal in unserem Element! Wir ließen die ersten Farbprospekte drucken und verteilten sie anfangs von Haus zu Haus mit dem Fahrrad. Der Bedarf an Leitern war groß und das Geschäft blühte. Nun wurde die Werkstatt abermals zu klein, zumal die Leiternteile viel Platz in Anspruch nahmen. Man musste bei der Herstellung der längeren Leitern diese sogar aus der Werkstatt tragen, wenn man sie umdrehen wollte. Das konnte kein Dauerzustand bleiben!
Im Jahre 1960 haben wir die Gelegenheit genutzt, in der Rosenau bei Mamming kostengünstig ein Grundstück zu erwerben; eine spätere Umsiedlung des Betriebes im Hinterkopf. 1969 wurde die Absicht umgesetzt. Es entstand eine ausreichend große Werkstatt auf dem erworbenen Gelände. Die Produktion der Leitern erfolgte für eine Übergangszeit sowohl noch in der Werkstatt in Dingolfing als auch im neuen Werk in der Rosenau.
Als einen Meilenstein und einen Durchbruch in der Firmengeschichte kann die Erteilung des Patents auf die von uns entwickelte VARIA Mehrzweckleiter betrachtet werden. Fünf weitere Patente kamen im Laufe der Jahre hinzu. Wir ließen keine Verkaufsmesse und keine sonstige Präsentationsmöglichkeit ungenutzt, unsere Produkte vorzustellen und anzubieten. Unser langjähriger Mitarbeiter Hermann Mitschke kam hier oft zum Einsatz.
Innerhalb kurzer Zeit konnten viele Kunden im In– und Ausland gewonnen werden, die teilweise noch heute zu unserem festen Abnehmerstamm gehören. Auf der internationalen Handwerkermesse 1971 in München wurde unsere Firma mit dem Bayerischen Staatspreis ausgezeichnet und unsere VARIA-Mehrzweckleiter errang die Goldmedaille. Die Besonderheit dieser Erfindung war ihre vielseitige Verwendungsmöglichkeit sowohl als Leiter als auch als Gerüst. Später entwickelte sich daraus wiederum das „Fahrgerüst Universal“. 1974 wurde unserem Unternehmen auf der internationalen Erfinder und Neuheitenmesse in Nürnberg wieder eine Goldmedaille verliehen. Durch die ständig zunehmende Produktion geriet das Spenglerhandwerk immer mehr in den Hintergrund und die Einstellung dieses Handwerks war abzusehen.
Ein weiterer entscheidender Meilenstein war die Umstellung der Leitern aus Stahl auf das wesentlich leichtere Aluminium. Dies erforderte aber auch eine Änderung von Rundprofilen auf die Rechteckprofile. Eine erneute Herausforderung für uns und alle Mitarbeiter. Durch unsere Verarbeitungstechnik (verschweißte Holm/Sprossenverbindungen) waren wir marktführend im Hinblick auf die Qualität unserer Produkte.
1975 wurde unsere Fertigung um ein weiteres Produkt erweitert: Das Fassadengerüst in Leichtbauweise kam hinzu. 1976 haben wir dann den Bauantrag zum Neubau einer Werkshalle und einem Verwaltungsgebäude gestellt;
1977 waren die Gebäude bezugsfertig. Unsere Produkte konnten nun noch effektiver und rationeller gefertigt werden. Bei einem „ Tag der offenen Tür“ haben wir einer breiten Öffentlichkeit die Produktion, die Funktionalität und die Qualität unserer Erzeugnisse vorgestellt. Es stieg jedoch auch die Nachfrage nach einer kostengünstigeren Variante unserer Produkte. Das bedeutete, neben der in Schweißtechnik gefertigten Leitern eine Version anzubieten, bei der Tritt und Holm durch Bördeln verbunden werden. Dazu waren große Investitionen in neue Maschinen notwendig, um auch diese Art der Leitern in bester Qualität herstellen zu können.
1987 wurde es wieder einmal zu eng. Produktions- und Lagerflächen wurden erweitert. Die Zahl der Mitarbeiter ist auf 41 angestiegen. In Büro und Werkstatt wurden viele junge Menschen in den verschiedensten Berufen ausgebildet.
1988 wurde mein Mann für seine intensive und erfolgreiche Lehrlingsausbildung ausgezeichnet.
Das Jahr 1990 ist erwähnenswert, da Sebastian in diesem Jahr der Goldene Meisterbrief verliehen wurde und nicht zuletzt auch, weil in diesem Jahr ein Traum meines Mannes in Erfüllung ging: das erste Rosenauer Volksfest fand statt. Die ohrenbetäubende Musik in überfüllten Bierzelten in denen mehr Schlagermusik, als echte bayerische Volksmusik zu hören ist, hatte nun ein Ende. Die Liebe zu traditioneller bayerischer Musik hat die Idee reifen lassen das eigene Volksfest zu gründen. Der Wast lud Musikgruppen ein, die auf festem Boden stehen und keine Verstärker und Lichtanlagen brauchen um die Gäste in Stimmung zu bringen. Diese Atmosphäre genoss jeder, gemütlich Brotzeit machen echt bayerisch halt.
Egal wie viel Arbeit es machte, der Wast genoss diese Feste von ganzem Herzen. Im Juli 1995 beendete ein unerwarteter und viel zu früher Tod jedoch leider alle seine Aktivitäten. Unsere älteste Tochter Uschi hat die Firma übernommen und führt seitdem den Betrieb in unserem Sinne weiter. Es gibt keinen Stillstand sondern das Unternehmen wächst unter ihrer Führung. Ihre Schwestern Brigitte, Erika und Elisabeth, sowie auch meine Enkelkinder unterstützen sie dabei.
Ohne den vorbildlichen Einsatz unserer fleißigen, ehrlichen und gewissenhaften Mitarbeiter wäre das nicht möglich. Ihnen allen gebührt Dank und Anerkennung. Und so hat sich aus den kleinsten Anfängen heraus der heutige Familienbetrieb entwickelt. Mittlerweile haben 66 Mitarbeiter einen Arbeitsplatz bei der Firma Ernst. Die Erzeugnisse werden in gleich bleibend hoher Qualität gefertigt und weltweit verschickt. Enkelkinder Uschi und Sara haben bei uns Ihre Lehre absolviert, Enkelkinder Katharina und Armin lernen gerade. Enkelkind Uschi hat auch schon ihren festen Platz im Betrieb, alle sind sie mit Leib und Seele dabei. Dies erfüllt mich mit Stolz, Zufriedenheit und Zuversicht.
Herzlichen Dank auch allen, die den Aufbau der Firma Ernst auf irgendeine Art und Weise gefördert und unterstützt haben und es noch tun! Mit einem Vierzeiler möchte ich schließen: Jetzt ist es wie es ist Das Leben geht weiter rauf und runter wie auf der Leiter.
Ursel Ernst sen. im Mai 2006